Der Familienbetrieb Wald produziert Süßes nach einem alten Königsberger Rezept, das nicht verraten wird. Erst ab Neujahr kehrt in der Werkstatt etwas Ruhe ein, wenn die bestellten Glücksschweinchen ausgeliefert sind.
Für das Geschäft muss ein Kinderbuch mit Illustrationen aus den 1930er-Jahren die Vorlage geliefert haben: die Tapete ist altrosa-beige-gestreift. Fotos der Firmengründer Irmgard und Paul Wald hängen in Goldrahmen an den Wänden. Wenn Kunden kommen, bimmelt ein Glöckchen über der Tür. Am Tresen schaut links auf einem Porträtfoto die junge Irmgard, rechts der ebenso junge Paul den Kunden entgegen. Dazwischen sind alte Stiche aus Königsberg (heute Kaliningrad) platziert. Die Regale hinter der Ladentheke sind aus gelblich-elfenbeinfarbenem Holz, wie auch die Ladentheke mit Glasvitrinen, in denen die Köstlichkeiten liegen: die Brote und Herzen, die schokoladengepuderten Kugeln und Vierecke, die Zöpfe und Stangen aus dem besonderen, dem Königsberger Marzipan – einer Mischung aus Mandeln, Haselnüssen und Rosenwasser aus Persien mit nur ganz wenig Zucker. Alles handgerührt, geformt und schließlich geflammt, so dass der Zucker an der Oberfläche karamellisiert.
Das genaue Rezept aber ist und bleibt das Geheimnis der Familie, dass auch Ralf Bentlin, der aktuelle Inhaber des Ladens, bewahrt. Er hatte eine Enkelin von Irmgard und Paul Wald geheiratet, die das Geschäft 1947 in Berlin eröffneten. Deshalb wird keiner, also auch kein Fotograf oder neugieriger Pressemensch, in die Werkstatt gelassen. Das habe er Oma Wald vor ihrem Tode versprechen müssen, sagt Ralf Bentlin.
Weil dieses Marzipan ganz ohne Konservierungsstoffe auskommt und daher produktions-zeitnah verzehrt werden muss, beginnt die Herstellung der Köstlichkeiten nicht schon Monate vor Fest- und Feiertagen, an denen Naschzeug und damit Marzipan eine besondere Rolle spielen. Vor Weihnachten und dem Jahreswechsel zum Beispiel herrscht Hochbetrieb und die ganze Familie muss in der Werkstatt anpacken: also auch die Onkel und Tanten, die Söhne.
Wenn Ralf Bentlin nicht gerade gemahlene Mandeln, Rosenwasser und Zucker mischt, steht er im Laden. „Was darf’s denn sein?“, fragt er, packt Zöpfe, Stangen und Nougat-Konfekt ein (damit hatten schon die Großeltern in den 1970er-Jahren das Sortiment erweitert). Er wiegt ab und kassiert, reicht eine Geschäftskarte übern Tresen und ein Leckerli für den Weg.
„Die Sorten sind der Kracher“
Dann packt er für die nächste Kundin Marzipankonfekt mit Rosenblüten ein. Das gibt es auch mit Tequila und Zitrone, mit Gin oder mit Slibowitz. „Schon die Oma hat Marzipan mit Champagner hergestellt,“ sagt Ralf Bentlin. Die Sorten mit dem harten Alkohol aber hat er sich ausgedacht und „die sind der Kracher“, meint der Marzipan-Macher. Aber damit ist offenbar die Spitze der Innovationsbereitschaft erreicht. Experimente mit Chili, Rosmarin, Grünem Tee oder ähnlichen Zusätzen sind seine Sache nicht. Ralf Bentlin scheint allein der Gedanke daran zu grausen, das sei ihm zu exotisch. „Wir machen Königsberger. Punkt. Und das nun schon seit über 100 Jahren.“
Paul Wald war mitsamt Rezept 1939 nach Berlin aus Königsberg gekommen, wo bereits dessen Eltern Marzipan hergestellt und damit sogar den russischen Zaren Nikolaus beliefert hatten. Weil er zur Wehrmacht eingezogen wurde, konnte Paul Wald das Berliner Geschäft erst nach dem Krieg und seiner Rückkehr eröffnen. Seine Frau Irmgard, die auch aus Königsberg stammte, hat er erst in Berlin kennengelernt.
Nach Oman und Pakistan
Ralf Bentlin half schon in den 1980er-Jahren in der Werkstatt der Schwiegereltern bei der Marzipan-Herstellung mit – zu dieser Zeit haben ihm im Hauptberuf noch einige damals stadtbekannte Diskotheken und Bars gehört. Doch 1991 wanderte er aus, kam nach einem Zwischenspiel auf Hawaii als Autovermieter und Surfschulen-Besitzer 1997 wieder zurück – und stieg ins Marzipan-Geschäft ein
Der 58-jährige hat den Betrieb etwas modernisiert, die Firma besitzt nun eine Webseite, man kann online bestellen, und verschickt wird in alle Welt: zum Sultan nach Oman, an einen Kunden in Pakistan, an die Enkel ostpreußischer Familien in Australien, Kanada und in viele andere Länder. Der Laden steht in jedem Berlin-Reiseführer. Doch vieles ist seit 1947 gleichgeblieben: die Adresse, die Ladeneinrichtung und vor allem das Königsberger Marzipan nach überliefertem Geheimrezept.
Foto: BLZ/AKUD/Lars Reimann (3), Ralf Bentlin (1)
Autor: Martina Doering
Datum: 28.12.2015