Sie gehört zu Berlin wie der Funkturm: die Charlottenburger Marzipanmanufaktur Wald. Seit 1947 stellt der Familienbetrieb Königsberger Marzipan in Handarbeit her. Gerade vor dem Weihnachtsfest herrscht in der Berliner Pestalozzistraße Hochkonjunktur.
Es ist ein eher unscheinbarer Laden, der in Charlottenburg eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Hauptstadt beherbergt. Irgendwo auf dem Weg von den trubeligen Geschäften der Kaiser-Friedrich-Einkaufsmeile in Richtung Lietzenseepark hat die Königsberger Marzipanmanufaktur Wald seit 68 Jahren ihre Heimat gefunden. Einst, als das aus Königsberg nach Berlin übergesiedelte Gründerehepaar Paul und Irmgard Wald hier noch ihr nach heimischem Originalrezept hergestelltes Marzipan von Hand abwogen, standen die Kunden oft geduldig Schlange – nicht wenige ausgestattet mit einem Buch, um gerade in der Vorweihnachtszeit die obligatorische Wartezeit zu überbrücken. „Auswiegen, verpacken, einpacken, und natürlich das Gespräch mit den oft befreundeten Kunden – das alles hat viel Zeit in Anspruch genommen“, erinnert sich der heutige Inhaber der Marzipanmanufaktur, Ralf Bentlin, für den auch heute noch die letzten Tage vor dem Fest Hochkonjunktur bedeuten. Nicht nur, dass die Marzipanspezialitäten aus der Pestalozzistraße bei vielen Firmenkunden ein gern gesehenes Weihnachtspräsent darstellen. Auch Prominente wie Barbara Schöneberger kaufen hier ein, Loriot schätze die Pralinen und das Teekonfekt. Harald Juhnke war Stammkunde, er schaute beim Weihnachtseinkauf regelmäßig vorbei. Überhaupt ist die Manufaktur ganz gut im Geschäft bei Filmschaffenden. Benötigt eine der zahlreichen Berliner Filmproduktionen außerhalb der Saison Mirabellen für eine Produktion, sind die Marzipanmirabellen der Manufaktur eine gute Alternative, die der Inhaber gerne anbietet.
Marzipanmirabellen für die Filmproduktion
Mittlerweile ist es fast schon ein Monopol, das Ralf Bentlin mit seinem im Tresor gelagerten Rezept auf handgemachtes Königsberger Marzipan hält. Selbst in Kaliningrad beherrschen nur noch ein paar wenige die Kunst der Herstellung des abgeflämmten, gebackenen Marzipans – und dies nur in sehr geringen Mengen. „Wir stehen mit ein paar Leuten in Kontakt, aber die Menge, die dort in einer Woche hergestellt wird, verkaufen wir hier an einem halben Tag“, weiß Ralf Bentlin, der seine Marzipan-Spezialitäten mit Rosenwasser aus dem Iran und Mandeln aus Moldawien bereichert, was sich nicht nur im Preis niederschlägt, sondern auch im Geschmack. Geschmacksverstärker, wie sie in industriell gefertigtem Königsberger Marzipan zu finden sind, sind Ralf Bentlin fremd: „Hier ist jedes Stück von Familienmitgliedern handgefertigt, so wie Urgroßvater Paul das jahrzehntelang gemacht hat.“
Als Gründer Paul Wald Ende der 1980er Jahre verstarb, musste das Familienunternehmen von einem Meister weitergeführt werden. In diesem Fall gar von einer Meisterin, denn Mitgründerin Irmgard Wald hatte 1984 mit 66 Jahren noch den Meisterbrief im Konditorenhandwerk bestanden. Eine Leistung, die sie kurze Zeit später mit dem Bestehen des Führerscheins noch einmal toppte. „Oma war immer sehr aktiv und hat viel getan, um geistig fit zu bleiben“, erinnert sich Ralf Bentlin an die alte Dame, die schließlich 2005 im hohen Alter von 88 Jahren verstarb. Ihr Konterfei hängt heute noch in dem kleinen Ladengeschäft, das in gewisser Weise noch immer irgendwie aussieht wie das 1947 eröffnete Originalgeschäft. Außer, dass die Tapeten heute moderner sind und die Fotos und Auszeichnungen des Gründerehepaars an den Wänden davon zeugen, dass die Marzipanmanufaktur hier eine lange Tradition hat. Mit dem Ex-Gastronomen Ralf Bentlin zogen in den Ausstellungsregalen in der Berliner Pestalozzistraße seither einige Produktinnovationen ein. Mit Alkohol versetzte Marzipanpralinen sind heute kein Tabu mehr – und sie verkaufen sich gut. So gut sogar, dass der Inhaber der Marzipanmanufaktur darüber nachdenkt, seine Spezialitäten bald nicht mehr nur in Berlin zu verkaufen. „Es ist schon ein Reiz, noch zu wachsen“, bekennt er, doch als Ziele der Expansionsaktiviäten ständen nicht wie vielleicht erwartbar zunächst London oder New York im Plan. In Kaliningrad und Moskau würde der Berliner Unternehmer seine Produkte zunächst lieber anpreisen. Er zögert jedoch nicht zuletzt auch aufgrund der aktuellen politischen Lage: „Neben dieser Unsicherheit ist es vor allem auch die Tatsache, dass die Produktion in jedem Fall weiter hier in Berlin stattfinden müsste. Würden wir vor Ort produzieren, wäre das für mich nicht überschaubar, und es gibt nichts Schlimmeres, als sich den Namen zu verderben mit sinkender Qualität.“
Das Familienrezept für Marzipan kennen nur zwei Menschen
Ralf Bentlin weiß, wovon er spricht. Das Familienrezept bleibt ein Heiligtum. Außer dem Inhaber selbst kennt aktuell nur seine Schwägerin noch das Geheimnis um die Herstellung der seit Jahrzehnten begehrten Marzipanspezialitäten. Zwei Wiederverkäufer sind deutschlandweit in seinem Auftrag unterwegs, doch selbst Anfragen exklusiver Möchtegern-Vertriebsstätten aus aller Welt lehnt Ralf Bentlin ab. Stattdessen fördert er lieber den Verkauf seiner Waren via Internet – mittlerweile ein Geschäft, das auf Jahressicht etwa 30 Prozent vom Gesamtumsatz der Marzipanmanufaktur ausmacht. Mit steigender Tendenz, was in den Vorweihnachtswochen in der Pestalozzistraße wieder zu steigender Geschäftstätigkeit führen wird.
„Direkt vor Weihnachten gibt es jedes Jahr viele Vorbestellungen“, weiß Ralf Bentlin. Auch eine Folge dessen, dass die unkuvertürten, ohne Konservierungsstoffe hergestellten Marzipanspezialitäten mit fünf bis sechs Wochen nur vergleichsweise kurz haltbar sind. Sechs-Tage-Wochen und 16- oder 17-Stunden-Tage sind für Ralf Bentlin und sein Team zu dieser Zeit dann keine Seltenheit. Zeit zum Verschnaufen gibt es erst wieder, wenn die Tage im neuen Jahr wieder länger werden. Verglichen mit den Gründertagen der Berliner Marzipanmanufaktur im Jahr 1947 haben sich die Zeiten in der Charlottenburger Pestalozzistraße diesbezüglich nicht geändert.
Author: Thorsten Keller
Fotos: Thorsten Keller
Datum: 18.Dezember 2015